Kategorie: Geschichte

Geschichte

Schlager – Lieblingsmusik von Muttis und Omas? Alles zusammen!

Schlager trivialisieren den Zeitgeist und machen ihn damit dem Geschmack der Masse zugänglich. Dabei helfen nicht zu komplizierte, eingängige Melodien und Rhythmen, und dabei helfen Texte in einer Sprache, die die Hörerschaft versteht. Andere Länder verfügen selbstredend über ihre eigene Form des Schlagers. Nur heißt er dann eben anders.Schlager waren, sind und werden immer deutschsprachig sein.

Im Grunde existieren Schlager, populäre Musikstücke, die ins Ohr gehen, sich dort festsetzen, die bei der Bevölkerung „einschlagen“, seit Menschen Lieder singen. Bereits aus dem Mittelalter sind Kirchenlieder überliefert, die, mit neuem (oft humoristischderbem oder unflätigem) Text versehen, im Volk kursieren. Die Wurzeln des Schlagers, wie man ihn heute kennt, reichen ins ausgehende 19. Jahrhundert zurück.

In Wien erlebt der leicht verdauliche Ableger der Oper, die Operette, ihre Blütezeit. Die Werke von Johann Strauß, Vater wie Sohn, erfreuen sich außerordentlicher Beliebtheit. In Deutschland kristallisiert sich Berlin als Hochburg der Operette heraus. Hier kreiert beispielsweise Paul Lincke Ohrwürmer wie „Das Ist Die Berliner Luft“. Operettenmelodien und -texte boomen, entwickeln sich zu „Gassenhauern“, was nicht zuletzt mit der Verbreitung des Grammophons zusammenhängt.

Dessen Rolle als Transportmedium wird vom aufkommenden Tonfilm ergänzt, wenn nicht gar abgelöst. Die Melodien, die die bewegten Bilder begleiten, erreichen plötzlich ein breites Publikum. Die zunehmende Aufgeklärtheit und Emanzipation der Wilden 20er spiegelt sich in den Texten. Neben absurden, schier dadaistischen Inhalten („Was Macht Der Maier Am Himalaya“) geht es nicht selten auch offen frivol zu („Veronika, Der Lenz Ist Da“). Kirchenvertreter zeigen sich selbstverständlich empört über die verlotterten Sitten.

Doch auch in der Musik hinterlässt die neue Freizügigkeit ihre Spuren. Jazzige, swingende Rhythmen kommen in Mode. Unvergessen bleiben, neben vielen anderen, die Lieder der Comedian Harmonists, von Zarah Leander oder Marlene Dietrich, deren Zauber und Charme Künstler wie Max Raabe noch Jahrzehnte später wieder aufleben lassen.

Der Nationalsozialismus bereitet dem „undeutschen Treiben“ der Tanzpartys ein jähes Ende. Unerwünschte Swing-, Jazz- und Latino -Klänge werden als „Negermusik“ gebrandmarkt und untersagt. Statt dessen wünscht man das „klassische deutsche Lied“ oder eben Marsch-Musik, die jetzt vorwiegend über den Rundfunk an die Hörerschaft gebracht wird.

Zahlreiche jüdische Künstler, die sich gerade um den Unterhaltungssektor verdient gemacht haben, werden mit Auftrittsverboten belegt, in jeder Hinsicht drangsaliert, ins Exil getrieben oder gleich ermordet. Die Karriere der Comedian Harmonists ist nur eine von vielen, die in dieser Zeit gewaltsam beendet wird. Andere Künstler, darunter Johannes Heesters und Marika Rökk, haben das zweifelhafte Glück, vom Nazi-Regime für Propaganda-Zwecke eingespannt zu werden. Gegen Kriegsende werden ausdrücklich Lieder aufmunternden Inhalts gewünscht. Hier ist beispielsweise Heinz Rühmanns „Das Kann Doch Einen Seemann Nicht Erschüttern“ einzuordnen.

Der Zweite Weltkrieg geht verloren und vorüber. In das herrschende kulturelle Vakuum senden schon bald wieder die ersten Radiostationen. Die Tatsache, dass es sich bei den frühen Hits der Nachkriegszeit um ihrer Jahreszeit entfleuchte Faschingslieder handelt wirft ein bezeichnendes Licht auf die deutsche Volksseele. Andererseits: Sozialkritik meldet sich in Nummern wie „Wer Soll Das Bezahlen“ oder „Am 30. Mai ist Weltuntergang“ eben doch leise zu Wort. Tagespolitik tönt darüber hinaus aus Texten wie „Ich Hab‘ Noch Einen Koffer In Berlin“ oder „Wir Sind Die Eingeborenen Von Trizonesien“.

Ansonsten setzt Nachkriegsdeutschland auf die gute, alte Schnulze. Immerhin: Man öffnet sich wieder für internationale Einflüsse. Swing, Samba und Boogie Woogie kehren auf die Tanzflächen zurück. Bis in die 60er Jahre besitzt der Schlager, mit Ausnahme einiger weniger Rock’n’Roll-Nummern (hier machen sich Ted Herold, Conny Froboess und Peter Kraus einen Namen), nahezu eine Monopolstellung in der deutschen Unterhaltungsmusik.

Mit dem Wirtschaftswunder kommt das Fernweh: Abgesehen von Stücken über Bella Italia, dem liebsten Reiseziel der Deutschen (Rudi Schuricke lässt bei Capri die rote Sonne ins Meer versinken, während ihr Caterina Valente im Chor mit Connys zwei kleinen Italienern „Ciao, Ciao Bambina“ hinterher ruft), florieren plötzlich Meeresballaden. „Ein Schiff Wird Kommen“: Ein Blick auf die Hitlisten der 50er und 60er Jahre erweckt den Eindruck, man hätte es bei den Deutschen mit einer unbeugsamen Seefahrer-Nation zu tun. Seemannschöre schießen auch in küstenfernen Gegenden aus dem Boden.

„Seemann, Deine Heimat Ist Das Meer“. Freddy Quinn steigt mit Songs wie „Heimweh“ oder „Junge, Komm Bald Wieder“ zum erfolgreichsten Schlager-Star aller Zeiten auf und vertritt Deutschland 1956 beim ersten Grand Prix D’Eurovision De La Chanson, dem bedeutendsten internationalen Schlagerwettbewerb. Wobei das französische Wort „Chanson“, womit ein Lied mit literarischem Gehalt bezeichnet wird, keineswegs mit dem eher seichten deutschen „Schlager“ gleichgesetzt werden darf. Dem Schlager entspricht in Frankreich ein „varieté“.

Im deutschen Schlager (sowie in den gern gesehenen Schlagerfilmen) besingt man die heile Welt – und man tut dies auf Deutsch, wenngleich auffallend viele ausländische Interpreten unter den Stars dieser Zeit zu finden sind. Gesang mit exotischem Akzent liegt offenbar schwer im Trend, anders lässt sich die Beliebtheit von Interpreten wie Bruce Low, Gitte, Nana Mouskouri, Gus Backus, Peggy March, Wencke Myhre, Connie Francis, Siw Malmkvist, Bill Ramsey und wie sie alle heißen, nicht erklären. Die einsetzende Beatwelle gibt dem Schlager schwer zu schlucken. Zwar liefern sogar die Beatles einige deutschsprachige Stücke („Komm Gib Mir Deine Hand“, „Sie Liebt Dich“), doch markiert ihr Erfolg, der der Rolling Stones und alles, das in deren Fahrwasser nach Deutschland schwappt, einen drastischen Einbruch in der Popularität des Schlagers. Mit einer Ausnahme: Schnulzen haben immer Konjunktur: Freddy, Peter Alexander und Roy Black zelebrieren das hohe Lied der Liebe und orientieren sich dabei an internationalen Vorbildern wie Engelbert oder Tom Jones.

Die Jungen verfallen dem Pop. Schlager wird zur Musik der Über-30-Jährigen, versucht aber, dem neuen Trend hinterher zu laufen. Drafi Deutscher, hervorgegangen aus einer Talent-Show und damit im Grunde ein früher Casting-Star, singt Schlager mit Beat-Einflüssen. Von Karel Gott existiert eine aufwändig orchestrierte deutsche Fassung von „Paint It Black“, Cindy & Bert versuchen sich gar an einem Cover von Black Sabbaths „Paranoid“ („Der Hund Von Baskerville“).

Erst als man die Anbiederungsversuche aufgibt und die Zielgruppe akzeptiert, schwingt sich der Schlager in den 70ern zu einem neuen Höhenflug auf. Mit dem Fernsehen erschließt man sich zudem einen neuen Verbreitungs-Kanal. Seit 1969 gilt die ZDFHitparade als die Plattform für deutschsprachige Musik. „Disco“ mit Ilja Richter, von 1971 bis 1982 im Programm, vermag an diesem Status nicht zu rütteln. Die Hitparade wird bis ins Jahr 2000 ausgestrahlt.

Der Schlager macht sich, wie es seit jeher in seiner Natur liegt, populäre Strömungen der Zeit zu Eigen. Neben den klassischen Schlager-Stars wie Udo Jürgens oder Christian Anders verzeichnen Interpreten Erfolge, die andere musikalische Genres in ihren Sound integrieren. So setzt Katja Ebstein („Theater“, „Wunder Gibt Es Immer Wieder“) auf Spuren von Soul. Andere tendieren zum Softrock (Peter Maffay), zur Marschmusik (Tony Marshall) oder setzen auf volkstümliches Liedgut (Heino). Rex Gildo („Brasil“) oder Tony Holiday („Tanze Samba Mit Mir“) adaptieren Latin-Klänge.

Der deutsche Schlager bringt (ähnlich wie etwas später Disco) überschaubar viele konstant im Geschäft bleibende Künstler wie Freddy oder Udo Jürgens, dafür aber zahlreiche One-Hit-Wonder hervor. Amüsanterweise versuchen sich in den Siebzigern darüber hinaus etliche Sportler am Mikrofon. Die Anziehungskraft von Nummern wie „Gute Freunde“ von Kaiser Franz Beckenbauer oder „Bin I Radi, Bin I König“ von Torhüter Petar Radenkovic basiert aber wohl, betrachtet man die gesangliche Leistung, vorwiegend auf deren sportlichen Triumphen.

Das Disco-Fieber, das in den 70ern um sich greift, geht auch am Schlager nicht spurlos vorbei. Orchesterarrangements werden seltener, verschwinden schließlich ganz. An ihre Stelle treten billigere und schneller zu realisierende Synthie-Produktionen. Anfang der 80er kostet die Neue Deutsche Welle den Schlager Kopf und Kragen. Wie einst der Beat, macht sich die junge Strömung in einem ursprünglich vom Schlager besetzten Marktsegment, der deutschsprachigen Musik, breit. Nena und Hubert Kah verdrängen alteingesessene Schlagerstars aus der Hitparade. Mit wenigen Ausnahmen gehören die 80er der NDW. Doch, wie gesagt: Schnulzen haben immer Konjunktur. Unter denen, die diese Dürreperiode überstehen, finden sich Howard Carpendale, Nino de Angelo, Roland Kaiser und Nicole, die mit „Ein Bisschen Frieden“ für einen der dünn gesäten deutschen Erfolge beim Grand Prix D’Eurovision sorgt.
Von dem Schlag, den ihm die Neue Deutsche Welle versetzte, erholt sich der Schlager nur schwer. Abseits vom Mainstream bindet der volkstümliche Schlager seine Zielgruppe an sich. „Herzilein“ (Wildecker Herzbuben) oder „Patrona Bavariae“ (Naabtal Duo) dringen dabei sogar noch an einige Ohren. Seine Freundschaftsbändchen-Sammlung beweist, dass Wolfgang Petry nicht gerade ohne Fans da steht. Voll ins Rampenlicht schafft es der Schlager erst wieder, als man sich mitten in den 90er Jahren – niemand weiß, warum das nötig war – urplötzlich auf die Siebziger besinnt.

Die sind von heute auf morgen trendy, und zwar in allen Bereichen: Einrichtung, Mode, Frisuren, die Musik – alles scheint auf einmal wieder aktuell. Guildo Horn und Dieter Thomas Kuhn reiten die Trash-Welle der neuen Schlager-Euphorie und füllen Hallen.Konsequenterweise schickt die Nation Guildo Horn 1998 samt Nussecken und Himbeereis zum Grand Prix und sichert sich damit einen überaus respektablen siebten Platz.

Die ironische Brechung, die bei der Rezeption von Schlagern zu dieser Zeit stattfindet, sieht Christian Bruhn, der erst mit Katja Ebstein, dann mit Erika von Gitti & Erika verheiratet war, nicht nur für seine Gattinen zahllose Evergreens schrieb und komponierte (darunter „Marmor, Stein Und Eisen Bricht“, „Liebeskummer Lohnt Sich Nicht“ und, man höre und staune, das Thema der Zeichentrickserie „Captain Future“), mit gemischten Gefühlen: „Wenn einem die Gottesgabe des lieblichen Gesanges nicht gegeben ist, dann muss man einfach eine Parodie daraus machen. Eigentlich hat ja das alte Material Erfolg, nicht die Parodie. Anders wäre es, wenn sie mit neuem Material Erfolg hätten. So wie HelgeSchneider, der hat ja eine neue Form des Schlagers erfunden.“ (Aus einem Interview mit „Komm Küssen“). Die satirische Sichtweise sei, so Bruhn, mit Vorsicht zu genießen, denn: Zum Zeitpunkt ihrer Entstehung waren die Texte, über die heute herzlich gelacht wird, größtenteils keineswegs witzig gemeint. Studenten, die glauben, die Ironie im Schlager erkannt zu haben, hält er entgegen: Es gab keine. „Ich sehe eigentlich keinen Grund, sich lustig zu machen, dazu nehme ich den Schlager zu ernst. Ich liebe ihn, heiß und innig.“

Quelle: www.laut.de/lautwerk/schlager/index.htm

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